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Wahrnehmung - jeder schaut durch die eigene Brille


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Jeder Mensch hat eine eigene Wahrnehmung von sich selbst, seinen Mitmenschen und der Umwelt. Sie haben sicher auch schon erlebt, dass Sie eine Situation vollkommen anders wahrgenommen haben als Ihr Gegenüber. Die Zusammenarbeit mit einem Geschäftspartner haben Sie als sehr positiv erlebt – Ihr gegenüber erlebte die gleiche Zusammenarbeit als mühsam und wenig erfolgreich. Wir alle empfangen und verarbeiten Informationen verschieden. Wie kommt das? Die Wahrnehmung ist nicht nur die reine Informationsaufnahme, sondern vor allem auch die Informationsverarbeitung.

INFORAMTIONSGEWINNUNG

Über unsere Sinne wie zum Beispiel sehen, riechen, hören und fühlen, nehmen wir laufend Informationen aus unserer Umwelt auf. Dabei ist zu beachten, dass wir einen sehr grossen Teil der Informationen unbewusst wahrnehmen. Dies ist auch gut so, denn wenn wir alles bewusst wahrnehmen würden, wäre unser Gehirn komplett überfordert.

DIE PERSÖNLICHE BRILLE

Jeder Mensch hat seine eigene und einzigartige Vergangenheit. Bereits im Kindesalter entwickelt jeder einzelne für sich seinen Lebensstil. Die Individualpsychologie geht davon aus, dass das Kind von seinen nächsten Menschen lernt. Dabei spielen die familiären Auffassungen, Werte, Regeln und Umgangsweise eine wichtige Basis. Das Kind verfügt noch nicht über die Fähigkeit, seine Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse zu reflektieren oder zu hinterfragen. Es bildet seine eigene Logik aufgrund der individuellen Schlussfolgerungen. Dies hat zur Folge, dass jedes Kind seine ganz eigene Meinung über sich selbst, seine Mitmenschen und die Welt hat. Jeder Mensch trägt seine persönliche „Brille“, durch die er die Welt um sich herum sieht. Auch wenn diese Annahmen und die gebildete Meinung falsch sind, handelt das Kind entsprechend. Diese früh entwickelten Denkmuster bleiben bis ins Erwachsenenalter erhalten.


INFORMATIONSVERAREBITUNG

All die gewonnenen Informationen werden in unserem Gehirn im Bruchteil einer Sekunde weiterverarbeitet und bewertet. Diese werden mit unserem Lebensstil abgeglichen. Es entsteht unsere individuelle Wahrnehmung. Diese hält jeder einzelne für wahr. Sie ist immer subjektiv und entspricht nicht zwingend der Realität.

BESTÄTIGUNG DER EIGENEN LOGIK

Jeder Mensch bestätigt seine innere Logik und seine Werte durch die Auseinandersetzungen mit seinem Umfeld und sammelt immer wieder Beweise, um diese zu bestätigen. Dies kann mit den Algorithmen der sozialen Netzwerke verglichen werden. Jeder Klick wird miteinander verknüpft. Die nachfolgenden Ergebnisse sind dem vorherigen Verhalten angepasst, sodass sich die eigene Meinung weiter und weiter bestärkt. So sehen die Nutzer vermehrt das, womit sie sich selbst wohlfühlen, etwa bestimmte Gruppen oder Themen. Die Folge: Der eigene Horizont des Denkens schmälert sich.

BEISPIEL

Sehen wir uns dazu ein Beispiel an, wo zwei Menschen die gleiche Situation unterschiedlich wahrnehmen. Ich habe bewusst ein Beispiel aus dem privaten Umfeld gewählt: Zwei ehemalige Schulkollegen, Marcel und Thomas besuchen an einem Abend gemeinsam die lokale Chilbi. Marcel wuchs eher zurückgezogen auf und seine Eltern hatten immer Angst, dass ihm etwas passieren könnte. So durfte er als Kind wenig unternehmen, besuchte bisher noch nie eine Chilbi. Die Achterbahn zum Beispiel kennt er nur aus dem Fernseher. Dazu kommt, dass sein heutiger Arbeitstag nicht nach seinen Erwartungen verlief. Der Anblick der Achterbahn löst bei ihm Unbehagen aus. Schon in der Warteschlange kann er das Geschrei der Menschen kaum ertragen und er nervt sich zusehends. Eigentlich möchte er lieber einen gemütlichen Abend zu Hause verbringen. Im Grunde ist Marcel nur da, weil er sich von Thomas vor einiger Zeit dafür überreden liess.

Thomas hingegen liebt die Chilbi mit den vielen Attraktionen. Schon als Kind genoss er den Nervenkitzel und die freudige Stimmung der Besucher. Thomas hatte heute einen freien Tag und verbrachte die meiste Zeit allein zu Hause. Er freute sich den ganzen Tag auf die wilden Bahnen und die Chilbi-Atmosphäre.

Nach der Fahrt ist Marcel schlecht gelaunt. Ihm steckt immer noch die Angst von der Fahrt in den Knochen. Hinzu kommt der Ärger über all die lauten, freudigen Menschen. Am meisten ärgert er sich darüber, überhaupt mitgekommen zu sein. Seine schlechte Laune prallt nun auf Thomas, der freudig lachend Pläne für die nächste Fahrt schmiedet. Und da haben wir die Herausforderung: Thomas und Marcel haben eine vollkommen unterschiedliche Wahrnehmung von ein und derselben Situation!

MÖGLICHE FOLGEN

Durch die teilweise sehr unterschiedliche Wahrnehmung können Missverständnisse und Fehleinschätzungen entstehen. Dies kann einerseits in der Folge zu Problemen und Konflikten mit unseren Mitmenschen führen.

Andererseits kann uns unsere eigene Wahrnehmung unnötig in einen Stresszustand bringen. Stress ist ein Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen der Umwelt und den persönlichen Voraussetzungen, Möglichkeiten, Fähigkeiten und Ressourcen des Individuums. Dieses Ungleichgewicht wird im Kopf festgestellt. Doch stimmt unsere Einschätzung über die Anforderungen? Ist unsere eigene Einschätzung korrekt oder unterschätzen wir unsere eigenen Fähigkeiten wegen einem negativen Erlebnis?

FÜR DEN ALLTAG

Was können wir aus diesen Erkenntnissen für den Alltag mitnehmen? In einem ersten Schritt ist es wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass die Menschen die Welt verschieden sehen und verarbeiten. Mit diesem Hintergrund ist es spannend zu erfahren, wie das ein anderer Mensch sieht. So ist es sicher bereichernd, wenn es gelingt, offener und interessierter für die Menschen zu sein. Damit werden Sie verständnisvoller und respektvoller. Es ist wichtig, dass «anders» nicht schlechter oder falsch sein muss. Mit dem Bewusstsein über die unterschiedlichen Wahrnehmungen gelingt es besser, die eigene zu hinterfragen. Dies kann zur Folge haben, dass Sie manche Situationen objektiver und stressfreier bewältigen können. Denn auch das, was Sie glauben zu sehen, zu hören oder zu fühlen, muss nicht der Realität entsprechen.

Die bewusste Auseinandersetzung und Reflexion Ihrer Wahrnehmung kann Ihnen helfen, die Kommunikation mit Anderen zu verbessern und Missverständnisse zu vermeiden.

Wäre das Zusammenleben nicht viel einfacher, wenn wir offener und interessierter, verständnisvoller, respektvoller und selbstreflektierter wären?

Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Reflexion Ihrer Wahrnehmung und der Entdeckung einer neuen Realität.


 
 
 

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